Dienstag, 10. Februar 2015
Morgenmuffel
Aller Anfang ist schwer. Da will ich mich nicht von
einer säuselnden Melodie der Morgensendung täuschen lassen. Genauso wenig möchte ich das Opfer von brutal gut aufgelegten Moderatoren werden. Und das Smartphone hängt an der unerreichbaren Steckdose.
Sobald also der altmodische Wecker klingelt, beginnt
das Ritual. Wenn das Scheppern anhebt, bietet ein
Schlag mit der flachen Hand Einhalt. Meistens gelingt
diese Übung, gelegentlich wird das Ziel verfehlt oder
der Wecker landet auf dem Boden. Solche dramatischen
Vorfälle sind meistens dem Geschehen am Vorabend
geschuldet. Die Treffsicherheit verhält sich
umgekehrt proportional zum Alkoholkonsum.
Früher wurde nun die erste Zigarette angesteckt,
aber diese Exzesse sind überwunden. Vielmehr wird
der Wecker neu gestellt, um noch 10 Minuten ohne
jegliches Risiko dösen zu können. Nach dem erneuten
Klingeln wird die helle Leuchte eingeschaltet.
Insbesondere im Winter ist es hilfreich, jetzt die Bettdecke
zurückzuschlagen, um sich keinen Illusionen hinzugeben.
Aber es passiert schon, dass die Augen noch einmal zufallen.
Nachts wird nicht geheizt, das Fenster steht gekippt offen.
Vorsichtig taste ich mit dem linken Fuß nach dem linken
Schlappen, der rechte folgt. Ich stütze mich mit beiden
Armen auf die Bettkante, hieve mich hoch und schlurfe
los. Im Winter werden überall die Heizkörper eingeschaltet.
Falls es nicht zu unerwarteten Verzögerungen gekommen
ist, folgt der Gang zum Briefkasten, um die Zeitung
zu bergen und die Schlagzeile auf der Titelseite zu lesen.
In der Küche wird Wasser für einen Pulverkaffee
erhitzt. In keinem Fall darf dieser Schritt ausgelassen werden.
Eher verzichte ich auf das Duschen und ordentliche
Zahnhygiene. An guten Tagen mache ich mir ein
Marmeladenbrot zum Kaffee. Oft genug muss das wegen der fortgeschrittenen Zeit ausfallen.
Falls die Abendgestaltung Raum für routinierte
Vorbereitungen gelassen hat, bewege ich mich zur Kleidung. Auf Grund langjähriger
Erfahrung sind die Kleidungsstücke bereits in der
richtigen Reihenfolge auf einem Stuhl angeordnet, so dass
keine Entscheidungen gefällt werden müssen. Im Stehen
esse ich die Scheibe Brot, bin heilfroh, wenn nichts auf das
frisch gebügelte Hemd kleckert. Dazu schlürfe ich vom wieder
einmal zu heißen Kaffee. Im schlimmsten Fall stürze ich
nach einem Schluck Kaffee unter Zeitdruck
hinaus und überlege sofort krampfhaft, wo ich das Auto abgestellt habe.
Diese morgendliche Suche empfinde ich als sehr
belastend, kann mich aber nicht überwinden, womöglich im
Laufschritt zur Bushaltestelle zu eilen. Das Handy ist
wohlweislich unübersehbar an der Steckdose im Flur
neben der Haustür geparkt. Andernfalls wäre der Tag
sowieso gelaufen.
Ob ich es einmal mit der Nachtschicht versuche?

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